VCP Hessen /
Offener Brief zum Genderverbot
Sehr geehrte Politiker*innen,
Offenheit, Respekt und Toleranz gegenüber allen Menschen gehören zu den Grundwerten von uns Pfadfinder*innen. Sie sind auch in der Verfassung Deutschlands verankert. Geschlechterinklusive Sprache zu verbieten ist aktive Diskriminierung, widerspricht unserem Gleichberechtigungsgesetz und unterstützt strukturelle Unterdrückung aller Personen, die nicht männlich sind.
Deshalb war die erste Reaktion auf den Beschluss Ihres “Genderverbotes” in unserem Verband christlicher Pfadfinder*innen e.V. (VCP) Entsetzen mit einer gehörigen Prise Unverständnis.
Die wenigen Orte, an denen das persönliche Verfassen von Texten und die Rhetorik noch gefordert und gefördert wird, sind die Bildungseinrichtungen, wie Schulen und Universitäten, wo junge Menschen zu mündigen Bürger*innen und Wissenschaftler*innen erzogen werden. Ist es nicht kurios, dass Sie genau hier den Sprach- und Schriftgebrauch rigoros einschränken und damit die Weiterentwicklung der deutschen Sprache einschränken? Besonders, dass Sie sich an so sensiblen Orten wie Schulen und Universitäten zu schaffen gemacht haben, zeigt wie Sie die Zensur bewusst einsetzen, um Freiheit und die Entscheidung, sich aktiv gegen Geschlechterdiskriminierung einzusetzen, unterbinden und sogar sanktionieren.
In den Orten des Entdeckens, Lernens, Experimentierens und Forschens sollte doch genau das unterstützt werden, was wir hier in den letzten Jahren beobachten konnten: Junge Menschen haben einen scharfen Gerechtigkeitssinn entwickelt und sich einen moralischen Kompass angeeignet, der ihnen dabei geholfen hat, Ungerechtigkeiten und Ausgrenzung zu erkennen. Nicht nur das, es gibt sogar eine Lösung für dieses komplexe Problem, eine Sprache zu verwenden, die leider nur einen Teil der Gesellschaft berücksichtigt. Ist das nicht das Ziel der Bildung? Sich seines*ihres Verstandes zu bedienen, sich aus der Unmündigkeit heraus zu winden und damit Lösungen für Probleme zu entwickeln. Wenn es eine gute Lösung für ein Problem gibt, welche niemandem tatsächlichen Schaden zufügt, wäre es unklug, diese nicht zu verwenden. Wenn man eine gute Lösung hat, dann sollte man sie anwenden dürfen, ohne dafür bestraft zu werden. Stellen Sie sicher, dass jede*r seinen*ihren Teil zu der Verbesserung unseres Lebens beitragen kann.
Ein essenzieller Bestandteil des deutschen Bildungskonzeptes beruht auf der Idee der humanistischen Bildung, die sich unter anderem intensiv mit dem Erlernen des kritischen Denkens und Hinterfragens beschäftigt. Wichtige Impulse, die heute immer noch genauso relevante Denkanstöße produzieren, wurden von Philosophen, mit denen wir uns in der Schule beschäftigen, gesetzt. Bis heute sind sie die immer noch aktuellen Lieferanten der Inspiration und Emanzipation und gehören damit zu den Bausteinen unseres Bildungskanons. Wichtig ist es aber nicht nur zu lernen, sondern auch Theorie in die Praxis umzusetzen. Die Denker*innen haben bestimmt ihre Arbeit nicht geleistet, damit ihr Wissen in Schulbüchern verstaubt. Diese ausschlaggebenden Werke sollen alle kommenden Generationen als Ermutigung dienen, sich gegen Ungerechtigkeiten wie sprachliche Diskriminierung zu wehren. Unmündigkeit bedeutet Unsichtbarkeit, denn Sprache hat Gewicht und formt das Bild, welches wir von uns und von unseren Mitmenschen haben. Sprache spiegelt uns wider, zu mindestens sollte sie das. Wenn man etwas benennt und erwähnt, dann existiert es. Und wenn unsere Sprache Menschen immer wieder ausschließt und unerwähnt lässt, dann existieren sie vielleicht trotzdem, sind aber unsichtbar und damit unbeachtet. Das ist ungerecht! Alle Menschen müssen in der Sprache Beachtung finden, um in der Forschung und in der Legislative Gehör und Berücksichtigung zu finden. Und deswegen sollte allen Menschen die Freiheit gelassen werden, selbst zu entscheiden, ob sie nun gendern wollen oder nicht.
Sprache hat sich schon immer mit der Gesellschaft weiterentwickelt und als ihr Spiegel fungiert. Sie zeigt, wie wir als Gesellschaft aber auch als Individuen über uns und unsere Mitmenschen denken und ist etwas sehr Persönliches. Unseren aktuellen und in diesem Falle auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machenden Sprachgebrauch nun zu zensieren, ist ein Eingriff. Unser Wunsch ist es, dass die Sprache hin zu mehr Gleichberechtigung und auch Gleichbetrachtung aller Menschen, egal welchen Geschlechtes, beiträgt. Das Genderverbot von Beamt*innen, Studierenden und im Abitur drängt Frauen und Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann identifizieren, wieder in den Hintergrund, aus welchem sie sich in den letzten Jahrzehnten, sogar Jahrhunderten, herauszukämpfen versuchen. Etwas zu verbieten, dass bisher individuell verwendet wurde und nicht verpflichtend war, ist der falsche Weg.
Lehrer*innen und Professor*innen beeinflussen das Weltbild von Schüler*innen und Studierenden und sollen sie zu mündigen Bürgern erziehen. Die ausschließliche Nutzung der männlichen Wortformen in der schulischen Erziehung führt eventuell zu Schüler*innen und Student*innen, die sich nicht frei entfalten können. Wenn man immer nur von Ärzten, Polizisten und Schreinern spricht, werden alle nicht männliche Personen nicht bestärkt diese Berufe zu ergreifen. Die gleiche Problematik besteht, wenn immer nur von Erzieherinnen, Krankenschwestern und Verkäuferinnen die Rede ist. Dies beeinflusst auch erheblich das Denken von studierenden, forschenden und arbeitenden Menschen, die in ihrem späteren Leben Dinge vorantreiben, die uns alle betreffen. Denn die Schüler*innen und Studierenden von heute sind die Fachkräfte von morgen.
Wir wünschen uns, dass sie sich nicht von rechter Politik leiten lassen und sich stattdessen klar von der menschenverachtenden Politik distanzieren.
Wir fordern Solidarität mit allen Menschen, die auf Grund ihres Geschlechts missachtet werden.
Grüße und Gut Pfad,
Die Landesführungsrunde des VCP Hessen
Antworten aus dem Landtag
Ingo Schon
Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion
Staatsministerin Heike Hofmann
Hessisches Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales
Anja Kornau
Teil der SPD-Landtagsfraktion
Sehr geehrte Pfadfinder*innen,
der Fraktionsvorsitzende Tobias Eckert hat mir Ihren Offenen Brief zum „Genderverbot“ zur Beantwortung weitergeleitet. Gerne nehmen wir dazu Stellung und erläutern Ihnen unsere Position zum Gebrauch gendergerechter Sprache, insbesondere in Schule und an Hochschulen. Als SPD-Landtagsfraktion haben wir uns mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt und würden uns wünschen, dass die Diskussion um Gendersprache sachlich geführt wird. Unsere im folgenden dargelegte Position können Sie gerne in Ihrem Verband teilen.
Die SPD setzt sich seit jeher für die gerechte Teilhabe aller Menschen an unserer Gesellschaft ein. Zu unseren Grundwerten gehört der Respekt vor allen Menschen, gleich welcher Herkunft – und welchen Geschlechts. Dieser Respekt, so meinen wir, muss sich in unserem Handeln, aber auch in unserer Sprache ausdrücken. Vor fast 50 Jahren war die SPD Vorreiterin darin, Männer und Frauen in Wort und Schrift gleichermaßen anzusprechen und das so genannte „generische Maskulinum“ als Standard abzuschaffen. Inzwischen gehört es zum gesicherten Menschheitswissen, dass es neben Männern und Frauen auch Personen gibt, denen das hergebrachte Zwei-Geschlechter-Schema nicht gerecht wird. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits 2017 in seinem Urteil zum Personenstandsgesetz die Auffassung des Deutschen Ethikrates zu eigen gemacht, „dass ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliegt, wenn Menschen, die sich […] weder dem Geschlecht weiblich noch männlich zuordnen können, rechtlich gezwungen werden, sich im Personenstandsregister einer dieser Kategorien zuzuordnen“.
Um in der alltäglichen Kommunikation die Sichtbarkeit nicht-binärer Menschen zu erhöhen, sind die fortschrittlicheren Milieus in den letzten Jahren dazu übergegangen, die längst als Standard etablierte Nennung des männlichen und des weiblichen Geschlechts („Genossinnen und Genossen“) in der Schriftsprache durch neue Schreibweisen zu ersetzen (Genoss*innen, Genoss_innen, Genoss:innen) bzw. im Sprachgebrauch mittels Glottisschlag auszudrücken, die von den offiziellen Rechtschreibregeln im Deutschen abweichen. Ursprünglich nur als Angebot zur orthografische Inklusion aller Geschlechteridentitäten gedacht, sind diese Schreibvarianten mit Sonderzeichen in jüngster Zeit zum Gegenstand einer politisch-weltanschaulichen Auseinandersetzung geworden, die sich derzeit rationalen Argumenten weitgehend entzieht.
Vor diesem Hintergrund befürwortet und unterstützt die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag generell die Verwendung einer geschlechtersensiblen Sprache. Wir sind davon überzeugt, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, gendergerecht zu schreiben und zu sprechen – auch ohne Sonderzeichen.
Denn mit Blick auf das Ergebnis der Landtagswahl musste die SPD Hessen in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU hinnehmen, dass der Koalitionspartner das Gendern mit Sonderzeichen bzw. dessen Verbot im Einflussbereich der Landesregierung emblematisch für die konservative Grundhaltung der CDU einsetzt. Entsprechend sind die Festlegungen dazu im Koalitionsvertrag, die dem Wunsch der CDU nach einer als „konservativ“ lesbaren Symbolpolitik bei diesem Thema Rechnung tragen. Unmittelbare materielle Nachteile sind damit aus unserer Sicht nicht verbunden. Im Gegenzug hat die SPD in der Koalition realpolitische Vorhaben durchsetzen können, mit denen tatsächliche materielle Verbesserungen für die Menschen und die Unternehmen im Land verbunden sind, beispielsweise den Hessenfonds, das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum oder ein wirksames Vergabe- und Tariftreuegesetz.
Selbstverständlich werden wir uns beim Thema „Genderverbot“ gegenüber der CDU vertragstreu verhalten, wenn der Koalitionspartner dazu Vorschläge unterbreitet, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Wir teilen diesbezüglich die Einschätzung der CDU, dass bei der Umsetzung an den Hochschulen die Wissenschaftsfreiheit unberührt bleiben muss und dass für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Prinzip der Staatsferne und die grundgesetzliche verbriefte Pressefreiheit gewahrt bleiben müssen.
Für die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag steht ferner fest, dass die geschriebene wie die gesprochene Sprache einem permanenten Wandel unterliegen: Was heute noch als Fehler gilt, kann morgen schon als richtig anerkannt sein. Dies sieht auch der Rat für deutsche Rechtschreibung so, der mit Blick auf die geschlechtergerechte Schreibung auf eine gewisse Dynamik hinweist, die durch den gesellschaftlichen Wandel und die reale Schreibpraxis entsteht. Vor diesem Hintergrund werden wir mögliche Anpassungen in den Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung beobachten und gegebenenfalls positiv begleiten.
Unser Koalitionsvertrag nimmt an zwei Stellen Bezug zur Verwendung bzw. dem Verbot des Genderns mit Sonderzeichen:
- „Wir werden festschreiben, dass in der öffentlichen Verwaltung sowie weiteren staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat für deutsche Rechtschreibung erfolgt. Auf die Verwendung der sog. Gendersprache werden wir daher zukünftig landesweit verzichten.“ (S. 56)
Deutlicher wird der Koalitionsvertrag im Schulbereich, dort heißt es:
- „Wir werden festschreiben, dass in Schulen auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat für deutsche Rechtschreibung erfolgt.“ (S. 13).
Dazu muss man wissen, dass Hessen im Schulbereich seit 2011 den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung folgt, nach denen Doppelpunkt, Sternchen und Unterstrich nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie gehören und dementsprechend nicht im Amtlichen Regelwerk und Amtlichen Wörterverzeichnis zu finden sind. Eine Ausnahmeregelung galt in den Jahren 2022 und 2023 (Corona) für das Abitur und andere Abschlussprüfungen. „Genderfehler“ werden seit dem Schuljahr 2023/2024 wieder analog zu anderen Rechtschreib- bzw. Zeichenfehlern bewertet. Hingegen sind sämtliche durch das amtliche Regelwerk abgedeckten Wörter der deutschen Schriftsprache, die keine Sonderzeichen im Wortinneren zur Kennzeichnung von Geschlechteridentitäten aufweisen, korrekt und werden demnach nicht als Fehler gewertet.
Für die Hochschulen hat das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kultur am 6. Mai 2024 eine Dienstanweisung herausgegeben. Ein Verbot von Gendersonderzeichen an hessischen Hochschulen gilt nur für die Kommunikation in der Verwaltung (also bspw. für deren Gebührenbescheide, Schreiben zur Vergabe von Studienplätzen und Beförderungen), nicht jedoch für die weiten Bereiche der Lehre und Forschung. Damit bleiben die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit von der Regelung ausdrücklich unberührt.
Nach dem Hessentrend 4/24 unterstützen 50% der Befragten das „Genderverbot“ der Landesregierung, 42% lehnen es ab; lediglich im konservativen Lager wird das „Genderverbot“ mehrheitlich positiv bewertet.
Ich hoffe, dass Sie unsere Position nun besser nachvollziehen und verstehen können.
Mit freundlichen Grüßen
i.A.
ANJA KORNAU
Parlamentarische Referentin
PA IV / Bildung, Wissenschaft und Kunst
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